Mai 2014

Wer kauft Alstom?
oder: Ein Lehrstück der Marktwirtschaft

Es scheint dieser Tage ganz so, als bahnte sich eine der möglicherweise größten Firmenübernahmen der letzten Zeit an. Der französische Konzern Alstom-Konzern ist offenbar im Begriff einige Fertigungsbereiche zu verkaufen.

So hieß es im Verlauf der letzten Woche, dass Siemens Interesse an der Alstom-Energiesparte hätte und dafür bereit wäre aus kartellrechtlichen Gründen seine Schienenfahrzeugproduktion an Alstom abzugeben. Damit entstünden in zwei zukunftsträchtigen Bereichen Quasi-Monopolisten in Europa. Was Siemens daran reizt, ist nicht zu übersehen: Allein der Geschäftsbereich "Thermal Power", der konventionelle Kraftwerke, Turbinen und ähnliches produziert bescherte Alstom in Geschäftsjahr 2013 einen Umsatz von 9,6 Mrd.€, bei einem Gesamtumsatz von 20,3 Mrd.€ sind das satte 47,3%. Zusätzlich würden wohl auch die Bereiche "Renewable Power" und "Grid" (Energieübertragun) an Siemens. Die Transportsparte trug mit rund 5,5 Mrd.€ etwa 25% zum Umsatz des Alstom-Konzerns bei.

Nun scheint der Alstom-Vorstandsvorsitzende Patrick Kron aufgrund persönlicher Animositäten dem Siemens-Vorstand gegenüber zwar einen Verkauf an GE zu bevorzugen, dennoch verdient allein schon die Planung dieses "Tauschgeschäftes" eine nähere Betrachtung, nicht zuletzt, weil es für Alstom im französischen Schienenfahrzeugmarkt ganz besondere Marktbedingungen gibt. Aber dazu später mehr.

Beide Unternehmen gehören zu den Marktführern im Bereich Schienenfahrzeuge, allenfalls Bombardier und mit Einschränkungen auch Stadler hat länderübergreifend ähnliche Verkaufszahlen zu vermelden. Andere Hersteller wie Vossloh, Skoda oder Pesa spielen nur lokal eine größere Rolle, beziehungsweise in bestimmten Marktsegmenten (wie etwa Vossloh im Bereich der Mittelführerstandsloks, sie G1206). Nachdem Voith beabsichtigt, nach zwei mehr oder minder erfolglosen Produktreihen, von denen eine, die "Maxima" wegen schon wieder verschärfter Crashsicherheitsbestimmungen ohnehin nicht mehr gebaut werden darf, den Schienenfahrzeugbau aufzugeben, bleiben damit in Mitteleuropa drei große Produzenten, deren Bedeutung auch in andere Weltregionen ausstrahlt, nämlich eben Alstom, Siemens und Bombardier.

Die beiden Unternehmen, um die es hier vorrangig geht, können nun wirklich nicht von sich behaupten, Probleme beim Absatz ihrer Fahrzeuge zu haben; zumindest nicht in allen Bereichen.

Siemens hat in letzter Zeit vor allen Dingen mit der neuen Vectron-Familie seinem Verkaufsschlagern "Taurus" und "EuroSprinter" einen wohl würdigen Nachfolger auf die Gleise gestellt, die finnischen Staatsbahnen haben beispielsweise 80 Lokomotiven bestellt, auch diverse Lokomitvvermieter haben bereist zugegriffen. Einzig die Dieselvariante wartet seit Jahren vergeblich auf ihre Zulassung...
Auch in der HighSpeed-Sparte läuft es (abgesehen von Zulassungsproblemen beim Velaro D). Mit dem Eurotunnelbetreiebr hat erstmals ein französischer Schnellverkehrsanbieter ein Produkt gekauft, das nicht von Alstom stammt. Die türkische TCCD denkt ebenfalls über den Einkauf von Velaros nach, in Russland fahren sie bereits.

Einzig im Bereich der Nahverkehrstriebzüge in Mitteleuropa bekommt Siemens nicht so recht einen Fuß auf den Boden, die Triebzüge des TYps Desiro ML kann man beinahe an einer Hand abzählen, einzig eine Großbestellung der Wiener S-Bahn wäre zu nennen. In Großbritannien und Russland läuft dagegen auch dieser Bereich.

In Bereich Öffentlicher Nahverkehr sorgen die Fahrzeugfamilien Avenio (Tram) und Inspirio (Metro) für reichlich Umsatz.

Alstom hat vor allen Dingen in Frankreich einen angestammten Kundenstamm: Die SNCF kaufen sowohl Lokomotiven als auch Triebzüge von der Pariser S-Bahn bis hin zum TGV bei Alstom ein und die zahlreichen neu entstandenen Tramsysteme setzen quasi ausschließlich auf die Alstom Citadisfamilie, die Pariser RATP, die demnächst eine kaum abschätzbare Zahl neuer Métro-Triebwagen bestellen wird, wird wahrscheinlich auch auf Alstom zurückgreifen.

Im Bereich Nahverkehrstriebwagen gab es in letzter Zeit mit der Coradia Familie (darunter auch zum Beispiel die LINT-Triebwagen) viele Exportaufträge, auch nach Deutschland.

Ein Zusammenschluss der beiden Transportspalten würde also einen Monopolisten hervorbringen, der in allen Bereichen von der Straßenbahn bis zum Hochgeschwindigkeitstriebzug gern gekaufte Fahrzeugfamilien zu bieten hätte. Es ist also durchaus fraglich, was die Kartellbehörden zu einem derartigen Deal sagen würden. Eine unumschränkte Zustimmung scheint zumindest fragwürdig.

Durchaus spannend könnte desweiteren sein, ob es erneut einen "Itino-Effekt" gibt, ob eine erfolgversprechende Fahrzeugfamilie nach einer Firmenübernahme an den Rand gedrängt wird.

Adtranz entwickelte am Ende des vergangenen Jahrhunderts neben dem RegioShuttle den zwei bis dreiteiligen Itino-Triebwagen. Doch noch bevor das erste Fahrzeug gebaut wurde, wurde Adtranz von Bombardier gekauft und während der RegioShuttle aus kartellrechtlichen Gründen an Stadler abgegeben wurde und in den folgenden Jahren, bis heute, fast 500 mal gebaut wurde, musste sich der Itino gegen neue, firmeninterne Konkurrenz in Form der Talent-Familie behaupten. Der konnte sich nicht behaupten. 57 Fahrzeuge wurden gebaut, allein die DB-Talente der Baureihe 644 können mit einer größeren Stückzahl aufwarten.

Da sich bei einer Übernahme von Siemens Mobility durch Alstom mehrere Fahrzeugfamilien gegenüberstünden, steht ein derartiger Effekt zu befürchten. Allerdings wäre es Spekulation, zu vermuten, ob die E-Loks der Prima-Familie oder der Desiro ML "aussterben" würde, wenn es zu diesem Deal käme.

Doch wie erwähnt gönnt Medienberichten zufolge der Alstom-Vorstandsvorsitzende Patrick Kron Joe Kaeser, seinem Siemens-Pendant, die Alstom-Energiesparte nicht. Und ganz nebenbei wäre es politisch kein allzu zukunftsweisendes Zeichen, wenn Siemens, immerhin eines der bekanntesten Unternehen des Energierwendevorzeigelandes Deutschland, ein Unternehmen kaufte, das einen Großteil seines Gewinns mit konventionellen, ergo CO2-intensiven, Kraftwerken macht, auch wenn die "dreckige Kohle" aufgrund des ausufernden Marktes mit CO2-Zertifikaten derzeit konkurrenzlos billig ist. Da wirken die bekannten Gesetze der Marktwirtschaft.

Neben Siemens oder GE wurde kürzlich in einem Spiegel-Online-Artikel noch eine ganz andere Möglichkeit genannt: der französische Staat könnte bei Alstom einsteigen. Auch eine spannende Alternative, auch wenn der neue französische Premierminister Manuel Valls nicht gerade verdächtig ist, Unternehmen zu verstaatlichen, ist er doch einer der wenigen linken Politiker, die gegen staatliche Umverteilung und einer der wenigen französischen Politikier, die für längere Arbeitszeiten plädieren.

Wie auch immer es kommen möge, es dürfte auch in den kommenden Wochen spannend bleiben im Übernahmepoker rund um Alstom, GE und Siemens.
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden