Juni 2013

TALENT trotz Klagen

Wieso lernt die DB nicht aus den Problemen mit dem Fahrzeuglieferanten Bombardier?

 

Das Berliner S-Bahn-Chaos.
Fehlende Bremsleistung an Triebwagen der Baureihe 423 im Herbst.
Neigetechniktriebzüge, die nicht nach links oder rechts, sondern zwischen funktionstüchtig und kaputt pendeln.
Das sind Mängel an neuen Schienenfahrzeugen, die die Sicherheit der Fahrgäste bedrohen können.

Deshalb handelt die Bahn konsequent, wenn derartige Vorwürfe ans Tageslicht kommen, weist alle Vorwürfe von sich (auch wenn die Fehler nach zehn Jahren Betriebseinsatz und Wartung in DB-Werkstätten auftreten) und verklagt den Hersteller. Erst Ende März hat die DB das dritte Verfahren gegen Bombardier wegen der diversen Schäden an der Baureihe 481/482 angestrengt. Bombardier soll 350 Millionen € Schadenersatz zahlen. Eine stolze Summe.

Nach Meinung der Konzernjuristen der Deutschen Bahn hat der Hersteller arglistig getäuscht und die Gesundheit der Fahrgäste aufs Spiel gesetzt. Der Jurist nennt das Vorsatz. Und wenn schon Unwissenheit nicht vor Strafe schützt, wie ein uralter Grundsatz der Justiz besagt, dann bringt Vorsatz eine Verschärfung der Anschuldigung mit sich. Das würde bedeuten, dass Bombardier keine Züge, sondern Zeitbomben gebaut hätte, die nur darauf warteten zu explodieren und wenn möglich auch noch möglichst viele Menschen mit in den Tod zu reißen.

Gut, das ist mit Sicherheit ein bisschen überzogen, aber so klingt der Versuch der Bahn, aus dem Skandal noch wenigstens kleinste Mengen Profit zu schlagen oder zumindest den großen finanziellen Kollaps zu vermeiden, denn ausfallende Züge bringen Strafzahlungen mit sich, die im straff kalkulierten DB-Alltag keinen Platz haben. Denn dort sind ja nicht mal regelmäßige Wartungen vorgesehen. Bevor ich der Bahn jetzt Unrecht tue: Sie waren vorgesehen. Aber dann kam der Börsengang, der Götze des Bahnvorstandes der Mehdorn'schen Ära, das heere Ziel, dem sich jeder unterwarf und das sich als fixe Idee herausstellen sollte. So kam man auf die Idee alles auf Kante zu nähen: Reservekapazitäten, Werkstattaufenthaltszeiten und so weiter. Selbst der "Spiegel" berichtete kürzlich über die Bahn und die Probleme mit der Wartung, "Frontal21"-Journalisten erfuhren gar, dass nur halbherzig ausgebesserte Züge wieder auf die Strecke geschickt wurden, wenn die Kapazitäten knapp wurden.

Mit diesem Hintergrundwissen, kann da der Hersteller alleine Schuld an technischen Defekten sein an Zügen, die zu Beginn der S-Bahn-Krise im Jahre 2009 schon teils mehr als zehn Jahre im Einsatz standen, mithin die erste Hauptuntersuchung bereits hinter sich hatten? Oder muss sich die DB auch fragen, was ihr Anteil an der Misere ist und ob nicht villeicht sie selbst Fahrgäste, ob vorsätzlich oder fahrlässig, gefährdet hat? Sich selbst wird die Bahn wohl kaum anklagen, das ist Steuersündern vorbehalten.

Seltsam wird der Krieg vor Gerichten allerdings, wenn man sich klarmacht, dass Bombardier immer noch einer der größten Lieferanten der DB ist. Ein Rahmenvertrag macht es möglich bis zu 321 Triebzüge der Bauart "TALENT II" zu kaufen. Und die sind technisch wieder minderwertig. In diesem Winter hat die DB Decken an Lokführer verteilt und geraten, lange Unterhosen zu tragen, weil Türen und Fenster im Führerstand undicht sind. Undicht. Das ist ein Makel, den jeder Heimwerker mit Silikon zu beheben wüsste. Bombardier nicht. Ein guter Teil der nicht wirklich TALENTierten Züge steht nach wie vor auf Halde und wartet auf Einsätze.

Die Fahrgäste warten mit. Bloß freuen sich die meisten über die Wartezeit, ausnahmsweise. So können sie nämlich auch weiterhin in bequemen Doppelstockzügen reisen und müssen sich nicht in Sardinenbüchsen auf Rädern pressen. Von der Platzbelegung her erreichen TALENT II-Triebzüge Werte, die man allenfalls von der Tokioter S-Bahn oder Hamsterfahrten nach dem Zweiten Weltkrieg kennt. Zwischen Würzburg und Nürnberg hat man kürzlich FÜNFwagige DOPPELstockzüge (die schon teilweise aus allen Nähten platzten) gegen DREIteilige (übrigens EINstöckige) TALENT II ersetzt. Damit erbringen Bahn und Augbgabenträger den Beweis, dass sich FÜNF mal ZWEI auf dem Papier zu EIN mal DREI kleinrechnen lässt. Papier kann man falten. Passagiere nicht.

Und doch bestellt man weiter munter bei Bombardier. Der 321-Triebzüge-Vertrag ist nicht verlängert worden, das hätte man niemandem erklären können. Dafür sind die neuen Doppelstock-ICs bei Bombardier in der Fertigung. Die ersten Loks sind auch schon fertig. Das ist auch gut so, ein Dreivierteljahr vor der Betriebsaufnahme. Von den Wagen bisher nicht einer. Das ist eher suboptimal. Und so kann man sich schon mal auf Ersatzverkehre einrichten. Die ersten Fernverkehrsloks hat man indes schon mal mit Doppelstockwagen aus dem Regionalverkehr verkuppelt, die sind ja jetzt teilweise übrig, die sind ja jetzt durch TALENTe abgelöst worden. Oder man erfährt noch einmal die Renaissance vergessener Fernverkehrsbaureihen. Die wohl wahrscheinlichste Variante, denn die angekündigten Ersatzgarnituren kann man bei DB Fernverkehr gar nicht stellen, solange nicht alle VELARO D-Triebzüge ausgeliefert sind. Und die überlegen ja bekanntlich immer noch, ob sie jetzt bremsen, oder nicht.

Und doch bestellt man munter weiter. Den nächsten Coup von Bombardier: Doppelstocksteuerwagen mit Motor, also quasi Triebwagen. TWINDEXX heißen die, mit modernem, wenn nicht gar coolem, doppelten XX im Namen. Die ersten sollen nächstes Jahr fahren. Bisher ist aber leider noch nicht ein einziger fertig, die Fernverkehrs-DOSTOs stehen im Weg. Wegfahren kann man die nicht. Die sind auch noch nicht fertig.

Auch Loks mit Doppel-XX, nämlich neue TRAXX II, werden gekauft. Ein Rahmenvertrag über läppische 450 Exemplare. 130 Loks wurden schon fest bestellt. Geliefert von dem Unternehmen Bombardier gegen das vier Verfahren durch den Kläger DB anhängig sind.

Und so verlangt die DB also 350 Mio.€ Schadenersatz von einem Unternehmen an das sie sich vertraglich für die nächsten Jahre bindet. Würde ich jemanden wegen einer nicht ordnungsgemäß abgelieferten Dienstleistung verklagen, würde ich bestimmt nicht wieder bei ihm bestellen. Und wäre ich eine Bestellerorganisation im Nahverkehr, würde ich die Kapazitäten so bestellen, dass niemand zurückbleiben muss, auch wenn parallel eine am Bedarf vorbei geplante Nürnberger S-Bahn liegt. Das ist dem Fahrgast in Würzburg egal. Und würde ich Züge bestellen, dann wäre es für mich doch selbstverständlich, Sitzplätze mit Fenster- statt Fensterstrebenblick anzubieten, gerade wenn die Züge in landschaftlich reizvollen Gegenden wie dem Mosel- oder Maintal unterwegs sind. So schwer kann das doch eigentlich gar nicht sein. Wieso muss eine Bahngesellschaft, die darüber hinaus noch dem Staat gehört eigentlich Gewinn abwerfen, wenn die Grundversorgung der Bevölkerung mit Fernverkehr zwar im Grundgesetz steht, die Bahn aber unrentable Verbindungen nach Belieben stilllegen kann? Und wie kann es sein, dass eine der Marktwirtschaft verpflichtete Regierung einem Staatsunternehmen unabhängig von der Wirtschaftsleistung Zwangs-Dividenden abverlangt, die im hohen dreistelligen Millionenbereich liegen. Und was bringt dem deutschen Steuerzahler, der ein Recht auf Zugverkehr hat, eigentlich eine Investition der Bahn in ein Hochgeschwindigkeitszugnetz in Katar?

Auf diese Fragen werde ich wohl so schnell keine Antwort bekommen.

Sie sollen aber Antworten bekommen: Es gibt nämlich TALENT-Triebzüge, die funktionieren. Bis heute. Die sind allerdings von Talbot entwickelt worden, bevor Bombardier das Werk aufkaufte. Einen Zusammenhang möchte ich nicht unterstellen. Qualitätsarbeit aber sieht anders aus als das, was die Bahn geliefert bekommt.

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